Auf ihrem Weg zurück zu Aktivität und Sport müssen Patient:innen nicht nur physisch, sondern auch mental auf kommende Schritte und Belastungen vorbereitet werden. Im Kurzinterview erklärt Moritz Neudecker, Sportwissenschaftler B.Sc. und sportpsychologischer Berater M.Sc., welche Herausforderungen aus mentaler Sicht zu managen sind und wie das gelingen kann.
OSINSTITUT: Was sind typische mentale Herausforderungen mit denen Patient:innen in der Rehabilitation zu kämpfen haben?
Moritz Neudecker: Egal auf welchem Level jemand seinen Sport vor der Verletzung betrieben hat, es gibt im Grunde vier zentrale Herausforderungen, die eine Patientin oder ein Patient mental bewältigen muss:
Erstens: Frustration. Eine Sportart vorübergehend nicht mehr ausführen zu können oder vorher selbstverständliche Bewegungen wieder neu erlernen zu müssen, kann zu Frustration bei Patient:innen führen.
Der zweite große Aspekt ist Motivationsverlust. Häufig hängt dieser mit Frustration zusammen. Über die oftmals lange Dauer einer Rehabilitation kann es zu einem Verlust der Motivation kommen, gerade wenn der Fortschritt für die Patient:innen sehr langsam erscheint und sich so Frustration aufbaut.
Eine weitere Herausforderung, die einem Therapeuten und Trainer häufig begegnet, sind generelle Sorgen und Unsicherheit bezüglich einer Rückkehr zum Sport beziehungsweise einer Rückkehr auf das gleiche Level. Vom Erfolg einer Rehabilitation kann immer auch abhängen, ob eine Sportart überhaupt oder auf gleichem Level wie vor der Verletzung ausgeführt werden kann.
Als vierte Herausforderung sehe ich ein Verlust an Selbstvertrauen: Aktivität spielt für viele Menschen eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Durch eine Verletzung fällt dieser zentrale Baustein für eine gewisse Zeit weg, die (sportliche) Form geht verloren. Das kann zu geringem Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen führen.
OSINSTITUT: Was kann ich als Therapeut:in beziehungsweise Trainer:in tun um meine Patient:inn zu unterstützen?
Moritz Neudecker: Der sportpsychologische Werkzeugkasten hält hier verschiedene Möglichkeiten bereit. Ich möchte einige davon kurz aufzählen und erläutern:
Zunächst die Psychoedukation. Indem man Patient:innen über die oben genannten Themen der mentalen Herausforderungen zu Beginn und während einer Rehabilitation aufklärt, sind diese kein Tabuthema und können offen besprochen werden. Daraufhin können gemeinsam Strategien erarbeitet werden, wie diese Herausforderungen zu meistern sind.
Als zweites wäre die Förderung von Eigenverantwortlichkeit zu nennen. Indem Patient:innen die Chance bekommen, bei Entscheidungen im Rehabilitationsverlauf mitzubestimmen, kann sich ihre intrinsische Motivation erhöhen. Das wirkt sich positiv auf die Compliance aus.
Außerdem geht es darum, alle Entscheidungen und Prozesse im Rehabilitationsverlauf offen und klar zu kommunizieren. Dies gibt Patient:innnen das Gefühl, Teil des Prozesses zu sein und macht nachvollziehbar, warum welche Übung und welcher Trainingsplan nun umgesetzt wird.
Als letztes Tool steht die Individualisierung zur Verfügung. Kein Mensch und keine Verletzung ist wie die andere, daher sollte auch keine Rehabilitation wie die andere sein. Während zentrale Bausteine im Rahmen einer jeden Rehabilitation vorkommen, sollten andere Aspekte die individuellen Ansprüche und auch Vorlieben der Patient:innen berücksichtigen. Eine solche individuelle Rehabilitationsplanung erhöht ebenfalls Motivation und Compliance der Patient:innen.
OSINSTITUT: Welche Rolle spielt, insbesondere bei Leistungssportler:innen, der Druck eines Comebacks?
Moritz Neudecker: Einerseits haben (Leistungs-)Sportler:innen mit den gleichen Herausforderungen während einer Verletzungsrehabilitation zu kämpfen wie Amateur- oder Nichtsportler auch. Diese habe ich oben bereits beschrieben. Es gibt aber auch zusätzliche Faktoren, die mental herausfordernd sein können und gegebenenfalls bearbeitet werden sollten. Oftmals stehen Leistungssportler:innen unter einem erhöhten psychologischen Druck durch Faktoren wie finanzielle Abhängigkeit vom Sport, Druck von außen (zum Beispiel durch Fans) oder dass der Stammplatz im Team in Gefahr gerät et cetera.
Darüber hinaus ist ein hohes sportliches Vorverletzungsniveau häufig mit hohen Ansprüchen an schnelle Fortschritte während und den Gesamterfolg der Rehabilitation assoziiert. Wenn sich diese nicht einstellen, kann das wiederum Frustration und Motivationsverlust zur Folge haben. Womit wir wieder bei den genannten Faktoren angelangt wären. Zu guter Letzt spielt die Sorge vor einer erneuten Verletzung bei Sportler:innen einen größere Rolle als bei Hobbysportler:innen, da ihre Karriere von ihrer Gesundheit und Sportfähigkeit abhängt. Diese Sorge kann die Rehabilitation beeinflussen und im schlimmsten Fall zu einem Teufelskreis aus Angst, schlechten Rehabilitationsergebnissen und erneuter Verletzung führen.
OSINSTITUT: Mehr zum Thema physische und mentale Readiness stellst du gemeinsam mit Volker Hacker bei unserem Onlineseminar im April dar. Hast du vorab noch Literaturtipps, wenn sich jemand bereits jetzt näher mit der Thematik beschäftigen möchte?
Moritz Neudecker: Auf jeden Fall habe ich. Da wäre zum einen unser Artikel in der Dezember-Ausgabe der Sportphysio – eigentlich kann ich hier die komplette Ausgabe empfehlen (lacht) [Sportphysio Ausgabe 05 · Dezember 2023, Anm. d. Red.].
Außerdem rate ich vor allem, sich die folgenden beiden Artikel zu Gemüte zu führen:
- Du, T., Shi, Y., Huang, H., Liang, W., & Miao, D. (2022). Current study on the influence of psychological factors on returning to sports after ACLR. Heliyon, 8(12)
- Gennarelli, S. M., Brown, S. M., & Mulcahey, M. K. (2020). Psychosocial interventions help facilitate recovery following musculoskeletal sports injuries: a systematic review. The Physician and Sportsmedicine, 48(4), 370-377.
Die Fragen stellte Nils Borgstedt
Bild: © Elena Panizza
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