Teil 2 des zweiteiligen klinischen Kommentars von Buckthorpe et al. zeigt, wie man die vier wichtigsten Komponenten der On-Field-Rehabilitation (OFR), die in Part 1 beschrieben wurden, anhand eines fünfstufigen Plans in der Praxis umsetzen kann (1). Im Folgenden werden die wichtigsten Inhalte dieses Programms vorgestellt.
Wie in Part 1 wird zur konkreten Darstellung der On Field Rehabilitation das Fallbeispiel eines Fußballspielers verwendet, dessen vorderes Kreuzband nach einer Ruptur rekonstruiert wurde. Da es selbst bei professionellen Fußballspielern mit einer Wahrscheinlichkeit von 4% zu einer erneuten Ruptur des rekonstruierten Kreuzbandes vor dem Bestreiten eines ersten Spiels kommt, wurde das fünfstufige OFR-Programm entwickelt, um dem Spieler zu einer sicheren Rückkehr zum Sport zu verhelfen. Bevor man mit der ersten Stufe der On Field Rehabilitation beginnen kann, sollten folgende Kriterien erfüllt werden können:
- Keine Knieschmerzen oder -schwellungen
- Keine subjektive Knieinstabilität
- Negative Knielaxitätstests
- Mindestens 80 % Gliedmaßen-Symmetrie bei der isokinetischen Beurteilung der Kniebeuge- und Streckerkraft
- Gute Bewegungsqualität bei grundlegenden Bewegungsübungen
- 10 Minuten bei 8 km/h laufen mit hinreichend normalisierter Laufmechanik und unter aerober Energiebreitstellung
Stufe 1: Lineare Bewegungen
Ziel der ersten Stufe ist der Übergang von der stationären Rehabilitation zur Rehabilitation auf dem Spielfeld sowie eine physische und mentale Vorbereitung auf steigende sportartspezifische Anforderungen. Dabei wird zunächst mit einfachen Bewegungsübungen begonnen, die lineares Laufen mit moderaten Geschwindigkeiten beinhalten. Höhere Bewegungsgeschwindigkeiten und multidirektionale Bewegungen setzen das Knie nämlich höheren Belastungen aus, die innerhalb der ersten Stufe noch vermieden werden sollten. Der Fokus liegt hier mehr auf der Wiederherstellung der Bewegungsqualität.
Fußballspezifische Aktivitäten finden nur in Form von leichten technischen Übungen statt (z. B. „keep-ups“ oder Ballführung nur mit der Innenseite des Fußes). Es gilt sog. „high risk“ Bewegungen, wie das reaktive Strecken des Beines zum Erreichen eines missglückten Passes, zu vermeiden.
Zudem kann in dieser Stufe begleitendes kardiovaskuläres Training auf dem Fahrrad oder Crosstrainer durchgeführt werden, da dabei die Last auf dem Kniegelenk nicht so hoch ist wie z. B. beim Joggen.
Stufe 2: Multidirektionale Bewegungen
Diese Kriterien sollte der Spieler erfüllen, um mit Stufe 2 des Programms beginnen zu können:
- Keine Knieschmerzen oder -schwellungen
- Zufriedenstellender Fortschritt bei der ersten Stufe des OFR-Programms
Ziel der zweiten Stufe ist es, vorgeplante multidirektionale Bewegungen mit voller oder nahezu voller Geschwindigkeit und guter Bewegungsqualität ausführen zu können.
Auch hier gestaltet man das Training wieder progressiv, um das Verletzungsrisiko so gering wie möglich zu halten. So beginnt man zunächst damit, die Bewegungen aus Stufe 1 mit höheren Geschwindigkeiten zu trainieren. Erst im Anschluss kann der Spieler komplexere Richtungswechselübungen absolvieren, wobei die Aufgabenbeschränkungen schrittweise verringert und die Intensitäten der Beschleunigungen gesteigert werden. Lineare Sprints können jetzt mit submaximalen Geschwindigkeiten absolviert werden und kardiovaskuläres Ausdauertraining kann in Form von Joggen stattfinden.
Das sportartspezifische Techniktraining kann nun einfache technische Übungen mit Ball und Kniekontrolle im Stehen beinhalten, also z. B. Volleys im Stehen und einfache Pässe bei optimaler Kontrolle der unteren Gliedmaßen. Zudem sollte der Spieler erste lineare Bewegungen mit Ball, wie z. B. Dribblings entlang einer Linie absolvieren.
Stufe 3: Fußballspezifische technische Fähigkeiten
Diese Kriterien sollte der Spieler erfüllen, um mit Stufe 3 des Programms beginnen zu können:
- Keine Knieschmerzen oder -schwellungen
- Zufriedenstellender Fortschritt bei der zweiten Stufe des OFR-Programms
- Mindestens 90 % Gliedmaßen-Symmetrie bei der isokinetischen Beurteilung der Kniebeuge- und Streckerkraft
- Optimale Bewegungsqualität bei vorgeplanten Bewegungsübungen
Ziel der dritten Stufe ist es, das Techniktraining abzuschließen und die Agilität, also Bewegungen mit reaktiver Entscheidungsfindung, zu trainieren.
Das Techniktraining beinhaltet in Stufe 3 vorgeplante fußballspezifische Übungen ohne Druck eines Gegenspielers. Hier können nun leichte lineare und multidirektionale Bewegungen eingebaut werden, die dann zunehmend komplexer werden. Erst wenn diese Übungen mit guter Bewegungsqualität ausgeführt werden können, beginnt man mit dem Agilitätstraining. Da diese Übungen das Reagieren auf externe Stimuli beinhalten, kann es zu höheren Belastungsspitzen im Kniegelenk kommen als dies bei vorgeplanten Übungen der Fall ist. Ein Beispiel hierfür ist das Vorwärtslaufen zu einem Kegel, bei welchem man dann nach rechts oder nach links laufen muss, je nachdem, wie der unmittelbar vor dem Kegel präsentierte Hinweis lautet.
In Stufe 3 beginnt man zudem maximale Sprints durchzuführen, um die Schnelligkeit wiederherzustellen.
Stufe 4: Fußballspezifische Bewegungen
Diese Kriterien sollte der Spieler erfüllen, um mit Stufe 4 des Programms beginnen zu können:
- Keine Knieschmerzen oder -schwellungen
- Zufriedenstellender Fortschritt bei der dritten Stufe des OFR-Programms
Das Ziel von Stufe 4 ist es, das Training auf das Intensitätsniveau des Mannschaftstrainings zu steigern. Das beinhaltet 1-gegen-1-Übungen unter spielähnlichen Szenarien (z. B. das Spielen auf ein Tor) und kontrolliertes Kontakttraining.
Dafür müssen zunächst fußballspezifische „Skills“ wiederhergestellt werden. Unter einem Skill versteht man in diesem Kontext die Fähigkeit, fußballspezifische technische Aufgaben mit Druck von außen unter realistischen Geschwindigkeiten zu bewältigen.
Um diese Fähigkeiten zu trainieren, führt man die Technikübungen nun mit Gegner und in Spielgeschwindigkeit durch.
Wenn der Spieler bei diesen Aufgaben zufriedenstellenden Fortschritt erzielt hat, sollten auch Technikübungen implementiert werden, die körperlich so anstrengend sind, dass sie nicht nur Skills, sondern simultan auch die kardiovaskulären Fähigkeiten trainieren. Ziel ist es dabei, die Aufrechterhaltung einer guten Bewegungsqualität trotz körperlicher Ermüdung zu trainieren.
Stufe 5: Simulation des Mannschaftstrainings
Diese Kriterien sollte der Spieler erfüllen, um mit Stufe 5 des Programms beginnen zu können:
- Keine Knieschmerzen oder -schwellungen
- Zufriedenstellender Fortschritt bei der vierten Stufe des OFR-Programms
Das Ziel von Stufe 5 besteht darin, sich auf die Rückkehr zum uneingeschränkten Training mit der Mannschaft vorzubereiten. Dazu wird eine Trainingsumgebung kreiert, welche die physischen, technischen und psychologischen Belastungsanforderungen des Sports nachahmt.
In diesem Stadium der Rehabilitation kann der Spieler an den ersten ausgewählten Übungen des Mannschaftstrainings teilnehmen. Zu diesen zählen beispielsweise das Warm-up und Technikübungen. Zudem sollten gruppenbasierte technische und taktische Übungen fokussiert werden, die Ballbesitzübungen mit 1-gegen-1- und 2-gegen-2-Situationen beinhalten.
Bevor der Spieler uneingeschränkt am Mannschaftstraining teilnehmen kann, müssen noch einige Faktoren kontrolliert werden. Dazu gehören klinische (Schmerzen, Schwellung, Stabilität/Laxheit, Bewegungsumfang), funktionelle (Kraft, Ausdauer), biomechanische (Bewegungsanalysen), psychologische (Angst vor erneuter Verletzung, Selbstvertrauen) und sportartspezifische (Absolvierung bestimmter Trainingsvolumina und -Intensitäten) Faktoren.
Zusammenfassung
Part 2 des klinischen Kommentars zeigt, wie man die in Part 1 vorgestellten Komponenten der On Field Rehabilitation mithilfe eines fünfstufigen Rehabilitationsprogramms in der Praxis umsetzen kann. Das Ziel des Programms ist es, den Sportler durch progressive Belastungssteigerung auf einen sicheren Wiedereinstieg in das Mannschaftstraining vorzubereiten. Dazu werden anfangs lineare und multidirektionale Bewegungen trainiert. Danach konzentriert sich das OFR-Programm auf die Wiederherstellung von fußballspezifischen technischen Fähigkeiten und Bewegungen. Bevor der Spieler endgültig in das Mannschaftstraining entlassen wird, durchläuft er in der letzten Stufe noch eine simulierte bzw. auf die individuellen Fähigkeiten angepasste Form des Mannschaftstrainings.
Take Home Messages
- Trainingsbelastung unbedingt progressiv steigern, da Belastungsspitzen das Verletzungsrisiko erhöhen
- Trainingsinhalte sollten im Verlauf immer sportartspezifischer werden
- Lineare Bewegungen belasten das Knie weniger als multidirektionale Bewegungen
- Bei vorgeplanten Übungen können im Vergleich zu reaktiven Übungen Belastungsspitzen besser vermieden werden
Literatur
1 Buckthorpe M, Della Villa F, Della Villa S, Roi GS. On-field Rehabilitation Part 2: A 5-Stage Program for the Soccer Player Focused on Linear Movements, Multidirectional Movements, Soccer-Specific Skills, Soccer-Specific Movements, and Modified Practice. J Orthop Sports Phys Ther. 2019;49(8):570-575. doi:10.2519/jospt.2019.8952
Hier geht es zu Teil 1: Klinischer Kommentar zur On-Field Rehabilitation: Teil 1
Der Artikel wurde erstmals im November 2023 veröffentlicht.