Nachgefragt
Physiotherapeutische Betreuung von Tänzern: Eine vielfältige Herausforderung

Im Interview spricht Physiotherapeutin Julia Luger über die Herausforderungen bei der Arbeit mit Tänzern:innen, typische Verletzungen und verrät, warum Tänzer:innen häufig in einer prekären Situation stecken.

OSINSTITUT: Was macht die Arbeit mit Tänzer:innen so herausfordernd?

Julia Luger: Professioneller Tanz ist grundsätzlich sehr fordernd. Tänzer und Tänzerinnen müssen sowohl körperlich wie auch mental großen Belastungen standhalten. Häufig sehen sechs von sieben Tagen so aus: tagsüber wird trainiert und am Abend findet dann eine Aufführung statt. Das zu absolvierende Pensum ist also sehr groß; Bei gleichzeitig wenig Regenerationszeit.

Die nächste große Herausforderung sind die extremen Bewegungen und Bewegungsradien, die Tänzer und Tänzerinnen häufig für ihre Performance benötigen und die oftmals nicht mehr physiologisch sind. Dadurch sind sie sehr gefährdet für Verletzungen.
Als dritten Punkt muss man auch das Equipment erwähnen – Spitzenschuhe, Schuhe mit hohen Absätzen, Kostüme. Beim Tanz spielt immer die optische Komponente mit rein, es geht mehr um Wirkung, um Optik und weniger darum, ob der Tänzer oder die Tänzerin in den gewählten Klamotten oder Schuhen sich optimal bewegen kann.

OSINSTITUT: Du hast das Verletzungsrisiko angesprochen. Welche sind typische Tänzerverletzungen?

Julia Luger: Das ist ganz unterschiedliche, je nachdem über welche Tanzsportart wir sprechen. Bei Balletttänzern sind in der Regel die unteren Extremitäten oder die Wirbelsäule betroffen, weil sie in der Regel alles Relevante auf und mit den Beinen machen – rennen, springen, drehen, Spagat, Bein über den Kopf et cetera. Da kommt es zu Kreuzbandrissen, Supinations- oder Pronationstraumen, Überlastungsbeschwerden wie Sehnenentzündungen oder Ermüdungsbrüchen im Fuß.

Bei Breakdancern sieht das zum Beispiel komplett anders aus. Hier sind die Handgelenke, die Halswirbelsäule der auch die Schulter viel häufiger von Verletzungen betroffen, weil sie eben viel Handstand machen, Headspin, stützen auf einer Hand und so weiter.


Seminarhinweis

Onlineseminar

Vertiefung: Zwischen Mobilität und Kraft - Tänzer und Physiotherapie


OSINSTITUT: Was bedeutet das für die Arbeit mit Tänzern und Tänzerinnen?

Julia Luger: Im Grunde muss man jede Spielart des Tanzes als eigene Sportart betrachten. Ich muss genau wissen, welche Anforderungen an den jeweiligen Tänzer oder die jeweilige Tänzerin gestellt werden. Was sind die typischen Bewegungsmuster? Wo liegen eventuelle Verletzungsrisiken? Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für die Betreuung. Außerdem muss man sehr einfühlsam sein, gut zuhören und die Probleme der Tänzerinnen und Tänzer ernstnehmen. Eventuell müssen beispielsweise auch die Kostüme angepasst werden, damit die gewünschte Performance überhaupt durchführbar ist.

OSINSTITUT: Näheres dazu verrätst du ja auch im kommenden Onlineseminar „Zwischen Mobilität und Kraft - Tänzer und Physiotherapie“. Außerdem wirst du auf die Unterschiede zwischen der D-A-CH Region und englischsprachigen Ländern wie England oder Australien eingehen. Warum?

Julia Luger: Weil es ein sehr spannender Aspekt ist und aufzeigt, in welcher Situation sich Tänzer und Tänzerinnen teilweise befinden. Abseits der großen Kompanien ist die physiotherapeutische Betreuung von Tänzerinnen und Tänzern insbesondere im deutschsprachigen Raum oft nicht gut, gerade im Vergleich mit dem englischsprachigen Ausland – ob nun in England oder Australien. Dort beschäftigt man sich schon viel länger und intensiver mit der Thematik und entsprechend besser sind die Infrastruktur und die Angebote. Hierzulande müssen sich insbesondere freischaffende Tänzer und Tänzerinnen im Grunde selbst um eine Betreuung kümmern und es natürlich auch selbst bezahlen. Eine ganz bezeichnende Geschichte dazu: Ich bin vor einiger Zeit auf eine Veröffentlichung gestoßen, in der eine Art Reha-Programm für Tänzer vorgestellt wird, falls diese nicht zur Physiotherapie gehen können oder – und das stand explizit darin – es sich nicht leisten können. Das zeigt im Grunde schon, wo der Schuh drückt. Die Tänzer und Tänzerinnen befinden sich also in folgender Situation: Sie brauchen eine physiotherapeutische Betreuung, gleichzeitig fehlen spezialisierte Angebote und sie müssen es selbst bezahlen. Da sind andere Regionen deutlich weiter.

OSINSTITUT: Das klingt nach viel Diskussionsfutter für das Onlineseminar. Ich freue mich darauf. Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Nils Borgstedt


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