Im Interview spricht Physiotherapeut Christoph Thalhamer über Herausforderungen bei der Rehabilitation nach Wirbelsäulenoperationen und gibt einen kurzen Einblick in sein eigenes Vorgehen.
OSINSTITUT: Welche unterschiedlichen Herausforderungen stellen sich bei der Reha nach Operationen an der lumbalen Bandscheibe und der HWS?
Christoph Thalhamer: Eine der größten Herausforderungen betrifft die unterschiedlichen Empfehlungen in Bezug auf die postoperative Nachsorge und Rehabilitation. Viele PhysiotherapeutInnen in der Praxis machen die Erfahrung, dass die Empfehlungen über erlaubte Belastungen nach einer Wirbelsäulenoperation von Krankenhaus zu Krankenhaus teils stark voneinander abweichen. Van Erp et al. (2018) haben dies beispielsweise für PatientInnen nach lumbalen Fusionsoperationen gezeigt. Auch neuere Arbeiten wie z.B. jene von Alsiaf et al. (2022) kommen für PatientInnen nach lumbalen Bandscheibenoperationen zum gleichen Ergebnis. Weitere Herausforderungen sind u.a. die Steuerung der Trainingsprogression in der Rehabilitation und die Behandlung residualer neuropathischer Schmerzen. Letztere erfordern eine enge Zusammenarbeit mit Ärzten (Chirurgen und Schmerzmediziner).
OSINSTITUT: Wann beginnt man in der Regel mit der Rehabilitation?
Christoph Thalhamer: Für PatientInnen mit einer komplikationslosen lumbalen Bandscheibenoperation reicht es, wenn die postoperative Rehabilitation nach vier bis sechs Wochen startet. Oosterhuis et al. (2017) konnten zeigen, dass ein früherer Start der Rehabilitation keine Vorteile bringt in Bezug auf Schmerzreduktion oder Funktionswiedergewinn. Natürlich kann in Einzelfällen auch früher begonnen werden; insbesondere dann, wenn beispielsweise Paresen vorliegen, wenn das neuropathische Schmerzgeschehen dominiert oder wenn PatientInnen verunsichert sind bezüglich der postoperativen Belastbarkeit.
Jene randomisiert kontrollierten Studien, die es zur postoperativen Rehabilitation nach elektiven Operationen an der HWS gibt, starten die strukturierte Rehabilitation in der Regel nach etwa sechs Wochen. Auch hier gilt, wie an der Lendenwirbelsäule, dass es in Ausnahmefällen durchaus Sinn machen kann früher zu starten.
OSINSTITUT: Gibt es einen Goldstandard für die Reha? Wie sieht dieser aus?
Christoph Thalhamer: Für die Rehabilitation nach Operationen an der lumbalen Bandscheibe gibt es keinen empirisch überprüften Goldstandard. Das strukturierteste Rehabilitationsprotokoll wurde bis dato von Rushton et al. (2016) publiziert. Ich würde grundsätzlich empfehlen, dass sich PhysiotherapeutInnen daran orientieren in der Rehabilitation dieser PatientInnen. Für die Rehabilitation nach Operationen an Halswirbelsäule würde ich empfehlen, dass wir uns an den Protokollen orientieren, die von Peolsson und Wibault in ihren randomisiert kontrollierten Studien verwendet wurden. Diese Protokolle sind meines Erachtens momentan die beste Grundlage für die Rehabilitation.
OSINSTITUT: Gibt es eine Übung / Test / Testbatterie, die fester Bestandteil ist, wenn du mit Patienten nach lumbaler Bandscheiben-OP oder HWS-OP arbeitest?
Christoph Thalhamer: Für die HWS sind der Cranio-Cervikale Flexionstest (und die daraus abgeleitete Übung), sein Gegenstück für die lokalen Extensoren der HWS sowie sensomotorische Kontrolltests ein hervorragender Einstieg in die Rehabilitation. Sie bilden gleichsam die Grundlage für fortgeschrittenere Themen in der Rehabilitation.
Am unteren Rücken bilden Kontrolltests für die LWS die Grundlage, von der wir ausgehen sollten. Dazu gehören u.a. knie- und hüftdominante Bewegungsmuster, die wir je nach Belastbarkeit in unterschiedlichen Ausgangsstellungen und mit oder ohne externe Last testen. Zentral für all diese PatientInnen ist zudem die Prüfung der Mechanosensitivität der neuralen Strukturen, an denen operiert wurde. Ein klinisch praktikables Assessment von Yellow Flags. wie beispielsweise von Stearns et al. (2021) vorgeschlagen, ist ebenso ein notwendiges Testverfahren. Im Allgemeinen möchte ich jedoch festhalten, dass die Übungsauswahl letzten Endes von den Zielen der PatientInnen bestimmt wird.
OSINSTITUT: Welche Literaturtipps hast du für die Teilnehmer zur Vorbereitung auf das Seminar?
Christoph Thalhamer: Meine Literaturempfehlungen sind:
- Jull et al. Management of neck pain. A research informed approach. 2019. Elsevier
- Rushton et al. Development of an optimised 1:1 physiotherapy intervention post first-time lumbar discectomy: a mixed-methods study. BMJ Open; 6(2):e009409
- Thalhamer (2020). Rehabilitation nach Operationen an der Bandscheibe. JATROS Orthopädie und Traumatologie Rheumatologie; 1/2020, S. 6-7
Zum Interviewpartner
Christoph Thalhamer hat Physiotherapie an der FH Campus Wien studiert und ist als Physiotherapeut in Wien tätig. Seine Spezialgebiete sind muskuloskelettale Medizin mit Fokus Wirbelsäule sowie Sportverletzungen und chronischer Schmerz. Thalhamer hat sich der evidenzbasierten Praxis verschrieben und ist Lektor an der FH Burgenland im Studiengang Physiotherapie. Er hat außerdem Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Wien studiert.
Das Interview führte Nils Borgstedt
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