Interview
Tendinopathien der Achillessehne – Ein Patentrezept gibt es nicht

Physiotherapeut und OSINSTITUT-Dozent Wolfgang Schoch betreut in seiner Praxis PULZ in Freiburg regelmäßig Sportler und Nicht-Sportler mit Achillessehnenbeschwerden. Im Interview verrät er, welche Risikogruppen es für Tendinopathien der Achillessehne gibt und was man bei einer Behandlung beachten muss.


Hinweis:

28.05.2020: Onlineseminar Tendinopathie der Achillessehne

Das Seminar gibt einen gut zweistündigen Einblick zu Ursachen, Risikofaktoren und Diagnostik bei einer Tendinopathie der Achillessehne. Darüber hinaus werden Strategien aufgezeigt, wie Therapie und Training bei Achillessehnenbeschwerden gestaltet und gesteuert werden können.


OSINSTITUT: Warum macht die Achillessehne bei Sportlern aber auch bei Nicht-Sportlern immer wieder Probleme?

Wolfgang Schoch: Ganz ehrlich: Man weiß es nicht genau. Auch in der Literatur findet man nichts konkretes dazu, warum ausgerechnet die Achillessehne betroffen ist. Was man aber weiß, ist wer oftmals betroffen ist. Das sind vor allem die Sportler in Sportarten, bei denen die Sehne repetitiv immer wieder belastet wird, wie eben beim Laufen oder Sprungsportarten. Häufig hängen Achillessehnenprobleme mit einer Veränderung in der Belastung zusammen, etwa wenn jemand plötzlich mehr läuft oder mehr Sprünge trainiert. Aber man muss auch sagen, es betrifft eben auch Nicht-Sportler. 65 Prozent aller, die an einer Tendinopathie der Achillessehne leiden, sind Nicht-Sportler.

OSINSTITUT: Kann man auch in der Gruppe der Nicht-Sportler Tendenzen erkennen, wer häufiger betroffen ist?

Wolfgang Schoch: Ja, Tendenzen kann man sehen. Betroffen sind häufig Übergewichtige, also Menschen mit einem erhöhten BMI. Und auch Diabetes scheint eine Rolle zu spielen.

OSINSTITUT: Spielen auch Fehlstellungen oder Dysbalancen in anderen Körperregionen eine Rolle bei der Entstehung von Tendinopathien?

Wolfgang Schoch: Ist keine volle Dorsalextension im Sprunggelenk möglich, scheint das Tendinopathien der Achillessehne zu begünstigen. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass ein Kraftverlust der Wadenmuskulatur und Defizite in der Hüftkontrolle eine Rolle spielen. Limitierte Evidenz gibt es für einen Einfluss von falschem Schuhwerk und Laufuntergrund. Dazu kommen noch systemische Faktoren. Die Genetik, Diabetes und auch die Behandlung mit Antibiotika scheinen sich negativ auf die Sehne auszuwirken.

OSINSTITUT: Es gib also verschiedenste Faktoren, die zu Beschwerden der Achillessehne führen können. Was passiert in der Sehne?

Wolfgang Schoch: Im Grunde führt die mechanische Überlastung dazu, dass sich die Zellstruktur im Gewebe der Achillessehne ändert. Es kommt zu morphologischen Veränderungen in der Sehne. Diese kommen aber auch in asymptomatischen Sehnen vor. Früher hat man oft von einer Tendinitis gesprochen, also einer Sehnenentzündung. Die gibt es auch, sie ist aber selten. In der Achillessehne selbst findet man in der Regel zwar Faktoren, die auf eine Entzündung hinweisen, aber dass sie richtig entzündet wäre, sieht man eigentlich nicht. Vielmehr ist oftmals umliegendes Gewebe entzündet. In den meisten Fällen spricht man daher inzwischen von Tendinopathie.

OSINSTITUT: Du hast gesagt, es gibt morphologische Veränderungen der Sehne. Was bedeutet das für die Therapie oder das Training?

Wolfgang Schoch: Im Grunde lassen sich diese Veränderungen mit Training nicht beheben oder rückgängig machen. Aber: man hat immer auch gesunde Teile der Sehne. Gill Cook bringt immer ein schönes Beispiel. Man kann die Sehne mit einem Donut vergleichen. Das Loch in der Mitte steht sozusagen für das schlechte Gewebe, drum herum ist aber noch viel gutes Gewebe. Cook sagt: „Don’t treat the hole“. Man sollte also nicht die Strukturveränderung ins Auge nehmen, sondern das gesunde Gewebe trainieren und die Belastung anpassen.

OSINSTITUT: Mit welchen Herausforderungen kämpfst du dann als Therapeut bei Tendinopathien?

Wolfgang Schoch: Schwierige Frage. Ganz wichtig ist natürlich – wie immer – jeden Patienten individuell zu betrachten. Sportarten, Intensitäten oder auch körperliche Voraussetzungen unterscheiden sich. Dementsprechend gibt es nicht die eine Übung, die jedem hilft. Das ist ein Punkt übrigens, der mir in der Publikumspresse häufig sauer aufstößt. Es wird suggeriert, es gäbe etwas für alle. Sich auf die Treppe zu stellen und exzentrisches Training zu machen, hilft zwar vielen Patienten. Es gibt aber auch viele, die darauf nicht reagieren, oder die nur eine leichte Verbesserung merken, aber von einer Rückkehr zu ihrem Sport noch weit entfernt sind. Nur auf der Treppe stehen, ist eben kein Sprung. Beim Laufen muss man beispielsweise das bis zu Zehnfache des eigenen Gewichts abfangen – das muss man trainieren. Wie genau eine Behandlung gestaltet werden kann, werden mein Co-Referent Christian Garlich und ich übrigens in unserem Onlineseminar an einem Patientenbeispiel vorstellen.

OSINSTITUT: Da sind wir gespannt! Vielen Dank für die ersten Einblicke in die Thematik Tendinopathien der Achillessehne.

Das Gespräch führte Nils Borgstedt