Studienzusammenfassung
Telerehab bei muskuloskelettalen Erkrankungen?

In einem Review haben Agostini und Kollegen die Wirksamkeit der Telerehabilitation in verschiedenen Populationen untersucht. Insgesamt wurden 12 Studien in diese Metaanalyse eingeschlossen, darunter neurologische, kardiale und orthopädische Patienten. 

Dabei wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen der Telerehabilitation und einer herkömmlichen Behandlung für neurologische Patienten gefunden, ein kleiner positiver Effekt für kardiale Patienten und für Patienten mit Knieendoprothese gab es deutlich positive Effekte zugunsten der Telerehabilitation. Allerdings gibt es für neurologische Patienten deutlich mehr Studien als zu den anderen beiden Gruppen. Daher werden mehr qualitative hochwertige Studien zur Effektivität der Telerehabilitation benötigt. 

Die Telerehabilitation und die Widerherstellung der motorischen Funktion

Der Begriff Telemedizin umfasst die Anwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Form von Gesundheitsdiensten für Patienten vor und nach einer Krankenhauseinweisung. Verschiedene Studien zeigen den erfolgreichen Einsatz der Telemedizin in ländlichen Gebieten, in Gebieten mit allgemein schlechtem Zugang zu Gesundheitsdiensten, in unterversorgten Gebieten, Entwicklungsländern als auch humanitären Krisen (WHO, 2010, Lurie und Carr, 2018; Hollander et al., 2020). Möglich wird dies durch die globale Verfügbarkeit dieser Technologien. Dabei rückt die Rehabilitation immer mehr in den Fokus. 

Die Telerehabilitation

Kleinere randomisierte Studien zeigten, dass die Telerehabilitation bei der Widerherstellung der motorischen Funktion nach einer Operation ähnliche Ergebnisse erzielte wie eine Standardbehandlung. Mit einer funktionellen Magnetresonanztomographie konnte gezeigt werden, dass die Telerehabilitation die gleichen Gehirnregionen aktiviert wie herkömmliche Behandlungsansätze.

Die Telerehabilitation bietet insbesondere Menschen mit körperlichen Einschränkungen und/oder eingeschränktem Zugang zu Gesundheitsdiensten die Möglichkeit, Rehabilitationsangebote in Anspruch nehmen zu können.

Trotzdem ist die Telerehabilitation nicht weit verbreitet. Ein Hemmschuh ist zum einen die fehlende technische Infrastruktur sowie ein adäquates Therapie-Setting. Zum anderen bildet die wissenschaftliche Studienlage zur Telerehabilitation bis dato primär die neurologische Rehabilitation ab. Eine 2013  veröffentlichte Metaanalyse ergab, dass die Wirkung der Telerehabilitation bei Schlaganfällen inkonsistent sei (Laver et al., 2013). 

Ziel der systematischen Übersicht und Metaanalyse

Der Vergleich der Telerehabilitation mit herkömmlichen Behandlungsinterventionen bei der Widerherstellung der motorischen Funktion bei verschiedenen Krankheitsbildern. 

Methodik

Hierfür wurde eine umfassende Literaturrecherche für den Zeitraum von 1946 bis 2014 durchgeführt. Inkludiert wurden alle randomisierten kontrollierten und quasi randomisierten kontrollierten Studien, kontrollierte klinische Studien mit und ohne Verblindung der Gutachter, sowie cross-over Studien. Bei den cross-over Studien wurde nur die erste Phase (Intervention) berücksichtigt zur Vermeidung von Lerneffekten und dergleichen. Alle diese Studien verglichen Telerehabilitation mit einer herkömmlichen Behandlung oder einer Intervention oder Therapie, die von Angesicht zu Angesicht durchgeführt wurde (unabhängig vom Ort der Durchführung). 

12 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 1047 Teilnehmern (543 Teilnehmer erhielten Telerehabilitation und 520 waren in den Kontrollgruppen) entsprachen am Ende den Auswahlkriterien der Autoren für ihre aktuelle Analyse. In allen Studien wurde die motorische Funktion sowohl vor als auch nach allen Interventionen gemessen. Daten der Follow-up Studien wurden in der Metaanalyse nicht berücksichtigt.

Ergebnis

Zwischen den Gruppen gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Metaanalyse zeigte eine hohe Heterogenitiät (I2 = 85%). Daher wurden drei Metaanalysen durchgeführt, kategorisiert nach den Populationen neurologisch, kardial und orthopädisch. 

Für die Gruppe der neurologischen Population konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen der Telerehabilitation und der herkömmlichen Intervention festgestellt werden. Bei den kardialen Patienten wurde ein signifikanter kleiner Effekt zugunsten der Telerehabilitation erkennbar, der allerdings nur auf zwei Studien beruht. Der größte Effekt konnte bei der Gruppe mit Knieendoprothesen (orthopädisch) festgestellt werden. Hier war die Telerehabilitation in der Wiederherstellung der motorischen Funktion deutlich effektiver als die Kontrollbehandlung. Dieses Ergebnis basiert primär auf einer sehr positiven Studie, bei der ein hohes Risiko für Selektions- und Attritionsbias festgestellt wurde (Attritionsbias = entsteht, wenn sich nicht alle an das Protokoll halten oder Teilnehmer vorzeitig die Studie verlassen). Nichtsdestoweniger konnte bei der Gruppe mit Knieendoprothesen eine Verbesserung des „Timed up and go Test“ festgestellt werden.

Zusammenfassung

Die Metaanalyse von Agostini et. al weist positive Tendenzen zugunsten der Telerehabilitation auf. Besonders fällt dabei eine Studie bei Patienten nach Knieendoprothetik-Operation auf. Allerdings besteht hier eine Limitation in Form von Bias‘, sodass die positiven Effekte in Frage gestellt werden müssen. Problematisch bei der Interpretation der vorliegenden Ergebnisse ist die Studienlage der jeweiligen Krankheitsbilder. Für Patienten nach einem Schlaganfall gibt es mehr Studien als bei kardialen oder orthopädischen Patienten. Daher resümieren die Autoren, dass diese Metaanalyse aufgrund der bis dato vorhandenen Studienlage (Stand 2015) keine endgültige Aussage über die Wirksamkeit der Telerehabilitation zur Widerherstellung der motorischen Funktion liefert.

Kommentar

Die vorgestellte Metaanalyse lässt keine endgültige Aussage zu, ob Telerehabilitation in Bezug auf die Widerherstellung der motorischen Funktion nützlich ist oder nicht. Aber: Es werden Vor- und Nachteile der Telerehab deutlich. Problematisch ist die insgesamt geringe Studienlage und Reliabilität der Studien, da keine standardisierte Vorgehensweise gesichert ist. Dies könnte unter anderem an den technischen und personellen Herausforderungen liegen, die mit der Durchführung der Telerehabilitation auftreten. Ebenfalls problematisch ist das vorzeitige Ausscheiden von Studienteilnehmern, deren motorische Funktion untersucht wurde. Von der Telerehabilitation profitieren insbesondere Menschen mit eingeschränktem Zugang zu Gesundheitsdiensten, inklusive Physiotherapie, denn ihnen wird die Möglichkeit einer intensiven Betreuung gegeben, die sonst nicht möglich wäre.

Primärliteratur

Agostini M et al. (2015) Telerehabilitation and recovery of motor function: a systematic review and meta-analysis. In: J Telemed Telecare. Online first. doi: 10.1177/1357633X15572201

Weiterführende Literatur

  • Hollander, J. E., & Carr, B. G. (2020). Virtually Perfect? Telemedicine for Covid-19. New England Journal of Medicine, 382(18), 1679-1681. doi:10.1056/NEJMp2003539
  • Lurie N, Carr BG (2018). The role of telehealth in the medical response to disasters. JAMA Intern Med;178:745-6 . 
  • Laver KE et al.  Telerehabilitation services for stroke. Cochrane Database Syst Rev 2013;12:CD010255. 
  • WHO Global Observatory for eHealth. (‎2010)‎. Telemedicine: opportunities and developments in Member States: report on the second global survey on eHealth. World Health Organization.

Text: Siri Goldschmidt