Interview
Bernd Steinhoff im Interview: Der RTAA® für die Wirbelsäule und sein Einsatzgebiet

Interview mit Bernd Steinhoff – Der RTAA® für die Wirbelsäule und sein Einsatzgebiet 

Bernd Steinhoff hat gemeinsam mit Matthias Keller, Georg Supp, Wolfgang Schoch und Eduard Kurz den RTAA® für die Wirbelsäule entwickelt. Im Interview erläutert er die Gedanken, die hinter dem Return to Activity Algorithmus stecken und wie und wann er eingesetzt wird.

OSINSTITUT: Bernd, du warst Teil des Teams, das den RTAA für die Wirbelsäule entwickelt hat. Welche Intention und welche Überlegungen stecken dahinter?

Bernd Steinhoff: Nach den RTAA für die untere und obere Extremität war die Wirbelsäule der logische nächste Schritt. Im Grunde steckt auch dahinter die Überlegung, ein strukturiertes Vorgehen für die Reha zu entwickeln, mit dem messbare Ziele gesetzt und erreicht werden können – diesmal eben für Rückenpatienten. Natürlich betrifft der RTAA nicht nur die Wirbelsäule, sondern den kompletten Rumpf. 

OSINSTITUT: Welche Herausforderungen hattet ihr bei der Entwicklung des RTAA Wirbelsäule zu meistern?

Bernd Steinhoff: Der auf den ersten Blick fehlende Seitenverglich hat uns sicherlich viel Hirnschmalz und Zeit gekostet. Wir mussten überlegen, woher bekommen wir Normwerte beziehungsweise die Werte, an denen wir uns orientieren. Beziehen wir uns auf den Rumpf, müssen wir uns entweder an der Gesamtsituation orientieren, oder durch die Auswahl der Tests die Möglichkeit eines Rechts-Links-Vergleichs beibehalten. Viele Wirbelsäulenproblematiken rufen außerdem Beschwerden auf einer bestimmten Seite hervor, zum Beispiel ausstrahlende Schmerzen. Wir haben daher auch einige Sprungtests in den RTAA Wirbelsäule aufgenommen. Eine zweite Möglichkeit ist, Gesamtwerte zu nehmen. Das funktioniert bei Mannschaften zum Beispiel sehr gut. Wir testen das ganze Team vor der Saison und haben dann Referenzwerte, wenn eine Reha notwendig wird.

OSINSTITUT: Du hast immer wieder von Normwerten gesprochen. Gibt es denn in der Literatur Werte, die man verwenden kann, gerade wenn ich als Therapeut mit Patienten arbeite und eben keinen Vergleichswert habe? 

Bernd Steinhoff: Leider noch nicht in befriedigendem Maße. Wir haben beim OSINSTITUT angefangen, Daten zu sammeln. Bis diese aber publiziert werden können, ist es ein langwieriger Prozess – die Population muss stimmen, der Test muss standardisiert sein und man muss die erhaltenen Daten nachher auch sauber auswerten. Noch gibt es daher keine wissenschaftlich belastbaren „Normdaten“. Irgendwann werden wir aber ausreichend Daten haben und diese dann auch vorstellen. Beim RTAA für die untere Extremität sind wir hier übrigens schon ein ganzes Stück weiter.

OSINSTITUT:Welche Tests kommen beim RTAA Wirbelsäule zum Einsatz und warum wurden diese Tests ausgewählt?

Bernd Steinhoff: Wir haben verschiedene „Schubladen“ als Tests. Erstens:  Provokationstests, mit denen wir die einzelnen Segmente der Wirbelsäule in verschiedene Bewegungsrichtungen provozieren möchten. Diese sind Streckung, Beugung, Rotation und natürlich auch Impacts, also Stoßbelastungen. Hier wollen wir sehen, wie die jeweiligen Segmente und die umliegende Muskulatur auf eine entsprechende Belastung reagieren. Diese Tests kann man nicht immer im Sinne von Verschlechterung oder Verbesserung dokumentieren . Wir haben daher die Entscheidungsfrage „Schmerz: Ja oder nein“ und die Schmerzentwicklung zur Beurteilung gewählt. Dabei geht es insbesondere um ausstrahlende, lang anhaltende Schmerzen.

Die zweite Schublade sind messbare Tests. Wir haben zum Beispiel verschiedene Plank-Tests integriert, wie etwa Frontplank- oder Sideplank-Tests in Anlehnung an den Bunkey-Test. Wir haben zwei Sprungtests mit dabei, den Front-Hop-Test und den Square-Hop-Test. Bei diesen letzten beiden Testformen ist dann ein Links-Rechts-Vergleich möglich und es können Messwerte erstellt werden.

OSINSTITUT: Warum wurden ganz konkret diese Tests gewählt? Warum zum Beispiel Sprünge?

Bernd Steinhoff: Weil wir auf den Alltag vorbereiten wollen. Wir wollen nicht nur lokal die Wirbelsäule testen, wie es beispielsweise beim Biering-Sörensen-Test oder dem McGill-Test gemacht wird. Bei diesen wird die Kraftausdauer der wirbelsäulenumgebenden Muskulatur gemessen. Wir wollen uns aber an den benötigten Funktionen und Anforderung im Alltag orientieren. Die meisten unserer Patienten wollen zum Beispiel wieder Joggen. Dann muss ich eben auch gucken, dass beziehungsweise ob mein Patient diese Stoßbelastung auf die Wirbelsäule aushält. Hier kommen die Sprünge ins Spiel. Die Wirbelsäule als pufferndes Organ, a für sich selber und b für den Kopf, muss eben auch puffern können. Wenn das noch nicht geht, ist eine Reha mit dem Ziel „Joggen“ noch nicht beendet.

OSINSTITUT: Und welche Erfahrungen hast du selber mit dem RTAA Wirbelsäule in deiner täglichen Arbeit gemacht beziehungsweise machst du? Wie hilft dir der Algorithmus bei der Entscheidungsfindung und wie hilft er dem Patienten?

Bernd Steinhoff: Mir hilft der RTAA Wirbelsäule zum einen bei der Kommunikation und Abstimmung mit anderen Therapeuten. Er hilft mir aber auch bei der Kommunikation mit dem Patienten. Ich kann ihm konkret sagen, welche Tests er bestehen muss, um wieder guten Gewissens und ohne größeres Risiko seine gewünschte Aktivität auszuführen. Ohne diese Algorithmen ist es oft schwierig, klare Ziele und Vorgehensweisen zu definieren. Bei dem einen Patienten wähle ich dann Weg A, bei einem anderen vielleicht Weg B und manchmal führt mich unter Umständen auch meine eigene Betriebsblindheit in die falsche Richtung. Mit dem RTAA Wirbelsäule haben wir eine Struktur, bei der sich verschiedene Experten aus unterschiedlichen Bereichen zusammengesetzt, lange und kontrovers diskutiert und den aktuellen RTAA Wirbelsäule als Konsens entwickelt haben.

Seminarhinweis

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