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Der RTAA® für die obere Extremität – wieso? Weshalb? Warum?

Der Return to Acitivtiy Algorithmus für die obere Extremität hilft, die Rehabilitation nach Verletzungen zu steuern. Der/die Patient:in durchläuft dabei bis zu vier Level mit jeweils einem qualitativen und einen quantitativen Test. Einer der Mit-Entwickler ist Matthias Keller. Im Interview verrät er die Überlegungen hinter dem Algorithmus und warum insbesondere der Wall Hop Test von zentraler Bedeutung ist.

OSINSTITUT: Warum habt ihr euch drangesetzt, eine Testbatterie für die Obere Extremität zu entwickeln?

Matthias Keller: Weil es so etwas noch nicht gab. Es gibt ein paar sehr wertvolle und gute Tests, aber eine Testbatterie, die mit wenig Equipment und in relativ kurzer Zeit die Basisfunktionen der oberen Extremität abfragt und sich dazu eignet, den Rehabilitationsverlauf zu steuern, hatte noch niemand entwickelt. Dass die VBG mittlerweile in ihrem Testmanual „Return-to-Competition nach Schulterverletzungen“ unseren Return to Activity Algorithmus aufgenommen hat, zeigt, dass ein solches Vorgehen für die Betreuung von Patienten und Patientinnen mit Verletzungen der oberen Extremität gefragt war und sehr gut angenommen wird.

OSINSTITUT: Was macht eine Testbatterie für die obere Extremität so herausfordernd und wie sieht es im Vergleich zur unteren Extremität aus?

Matthias Keller: Zunächst muss man festhalten: Die obere Extremität ist viel komplexer als die untere, weil gerade im Hinblick auf die Feinmotorik viel mehr und verschiedene Aufgaben erfüllt werden müssen. Bei der unteren Extremität sind die Hauptfunktionen das Stehen und das Gehen. Die Fortbewegung steht hier im Mittelpunkt. Über die obere Extremität decken wir die Feinmotorik ab – zielgerichtetes Greifen, Dinge anfassen, halten, bewegen. All das muss man bei der einer solchen Testbatterie berücksichtigen.


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OSINSTITUT: Welche Gedanken stecken also hinter dem RTAA® Obere Extremität?

Matthias Keller: Grundsätzlich geht es darum, Basisfunktionen zu überprüfen. Das ist etwas, das alle unsere Return to Activtiy Algorithmen (RTAA®) gemein haben. Bei der oberen Extremität mit ihren vielfältigen Funktionen war die Auswahl der Tests für den Algorithmus eine große Denksportaufgabe für alle Beteiligten. Deutlich wird es, wenn man sich beispielhaft verschiedene Sportarten herausgreift und deren sportartspezifisches Anforderungsprofil betrachtet. Die Bandbreite reicht von werfen und fangen über stoßen, schlagen, greifen, etwas über Kopf heben und halten, klettern und so weiter. In einem Return to Sport sind die Funktionen also deutlich komplexer als etwa bei der unteren Extremität.

Nichtsdestoweniger gilt aber für ein Return to Activity: Es gibt Basisfunktionen beziehungsweise Grundvoraussetzungen, die jeder erfüllen sollte. Und diese spiegeln sich im RTAA® für die obere Extremität wider. Wir haben uns darauf fokussiert, sowohl Qualität wie auch Quantität abzuprüfen, wobei die Qualität eher in einem offenen System getestet wird, die Quantität in einem geschlossenen System. Bei den qualitativen Tests überprüfen wir, ob eine gewisse Range of Motion hinsichtlich einer definierten Bewegungsqualität in einer bestimmten Phase des Rehabilitationsprozesses abgebildet werden kann. Dem gegenüber stehen die quantitativen Tests im Sinne einer Belastungserprobung, bei der man das Körpergewicht auf die obere Extremität bringt. Unser Anspruch bei der Erstellung des RTAA® war es, mit einfachen Übungen und Tests zu arbeiten, sodass man ihn immer und überall umsetzen kann. Ziel ist dabei, ein funktionelles Profil des Patienten oder der Patientin zu erhalten, an dem man sich in der Reha orientieren kann. Man sollte den RTAA® aber nur als ein Tool von mehreren im Werkzeugkasten sehen und nicht dogmatisch betrachten. Es ist durchaus sinnvoll ihn mit weiteren Tests, Fragebögen und Scores zu adaptieren.

OSINSTITUT: Ihr habt euch lange Gedanken gemacht, welche Tests ihr integriert und habt dabei auch eigene Tests entwickelt. Den Wall Hop Test kann man hier wohl herausstreichen. Was macht diesen Test aus?

Matthias Keller: Es gibt für die obere Extremität sehr wenige Tests, die einen Seitenvergleich bei einer plyometrischen Funktion in der geschlossenen Kette ermöglichen. Von der unteren Extremität kennt man dies mit den Hop Tests. Impact-Abfragen für die obere Extremität gibt es aber so gut wie nicht. Mit dem Wall Hop Test ist eben genau ein solcher Test entstanden, der noch dazu auch für jedermann durchführbar ist. Andere Tests, die es gibt, sind oftmals so anspruchsvoll, dass sie sich für die Praxis nicht wirklich eigenen. Einen einarmigen Plyo-Push-Up auf Zeit wird kaum jemand schaffen.

OSINSTITUT: Warum eignet sich der RTAA® für die komplette obere Extremität?

Matthias Keller: Die Tests und Übungen fordern schon im geringsten Level (Level I), die Stützfunktion und die Mobilität im Handgelenk, ich brauche zudem die Extensionsfähigkeit im Ellenbogengelenk. Heißt also: Die Basisfunktionen, die im Handgelenk und Ellenbogengelenk werden hier abgefragt, sei es im Stütz oder in der Bewegung. Gleiches gilt für die Schulter. Kann der Patient die Schulter richtig positionieren? Ist die geforderte ROM möglich? Man muss aber sagen: Der RTAA® ist nie ein isolierter Test, daher kann er weder Schulter noch Handgelenk oder Ellenbogen vollumfänglich abdecken und ist auch nicht für die klinische Diagnostik eines Schulterproblems geeignet. Er fragt immer nur eine Basisfunktion ab. Sollten sich hier aber schon Einschränkungen zeigen, erhält der Therapeut oder die Therapeutin bereits einen Hinweis, wo er oder sie weiter in die Tiefe gehen kann. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass ich durch den RTAA® Obere Extremität Einschränkungen im Handgelenk oder eine Fehlfunktion im Ellenbogen aufdecken kann beziehungsweise hat der Test eine Bestätigung geliefert, wenn Probleme bereits vorher bekannt waren.

Das Gespräch führte Nils Borgstedt


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