Studienzusammenfassung
Häufigkeit und Risikofaktoren einer Achillestendinopathie bei Freizeitläufern

Eine Erkrankung beziehungsweise Reizung der Achillessehne (Achillestendinopathie, AT) verursacht Schmerzen und schränkt die Leistungsfähigkeit ein. Verursacht wird eine solche Reizung zumeist durch eine Steigerung der Belastung. Unterschieden wird die Reizung der Achillessehne in einen akuten (erhöhte Zellproliferation) und einen chronischen (degenerative Gewebsveränderungen) Zustand, der für die Risikopopulation (zumeist Läufer) eine Präventionsstrategie fordert.

Studienzusammenfassung von: Lagas IF et al. (2019): Incidence of Achilles tendinopathy and associated risk factors in recreational runners: A large prospective cohort study.

Entwicklung der Präventionsstrategie

1. Das Ausmaß des Problems feststellen

Von einer Tendinopathie der Achillessehne sind mit einer kumulierten Inzidenz von 52% primär Leistungs-Läufer betroffen. Aber auch bei weniger ambitionierten Läufern stellt die AT eine der häufigsten Verletzungen dar. 

2. Risikofaktoren definieren

Risikofaktoren werden in veränderbare Faktoren und nicht-veränderbare Faktoren unterteilt. Veränderbare Faktoren sind zum Beispiel Alkoholkonsum, Ernährung oder auch das Laufverhalten. Sie sind somit für eine Präventionsstrategie nutzbar, während Faktoren, wie Alter oder Geschlecht, nicht verändert werden können (der Einsatz von Hormonen wird hier nicht näher erläutert) und daher nicht genutzt werden können. 

In einem vorangegangenen Review von van der Vlist und Kollegen (2019) wurden eingeschränkte Hinweise auf 9 Risikofaktoren im Zusammenhang einer Achillestendinopathie in verschiedenen Populationen ausgemacht:

  • Vorherige Tendinopathie oder Fraktur der unteren Extremitäten
  • Die Verwendung des Antibiotikums Ofloxacin (Chinolon)
  • Ein längerer Zeitraum zwischen einer Herztransplantation und dem Beginn einer Chinolon-Behandlung bei Infektionskrankheiten
  • Moderater Alkoholkonsum
  • Training bei kaltem Wetter
  • Eine verringerte isokinetische Kraft in der Plantarflexion
  • Verändertes Gangmuster mit verminderter Entwicklung des Vortriebs
  • Stärkeres seitliches Abrollverhalten am Vorfuß
  • Kreatinin-Clearance von <60 mL/min bei Herztransplantationspatienten 

Als beeinflussbare Faktoren gelten hier: moderater Alkoholkonsum, die Verwendung des Antibiotikums Ofloxacin und die verringerte Kraft in der Plantarflexion.

Limitierende Faktoren bei der Auswertung der betrachteten Studien waren die Teilnehmer, deren Lauferfahrung vom Anfänger bis Experten rangierte, sowie die insgesamt sehr niedrige Verletzungszahl. Folglich ist auch die Aussagekraft zu Risikofaktoren limitiert, die in Zusammenhang einer AT im Allgemeinen und in den verschiedenen Läufergruppen stehen. 

Das Ziel der hier zusammengefassten prospektiven Studie war es, die Inzidenz einer Achillestendinopathie bei Freizeitläufern zu erfassen, und die Risikofaktoren zu definieren.


Hinweis:

28.05.2020: Onlineseminar Tendinopathie der Achillessehne

Das Seminar gibt einen gut zweistündigen Einblick zu Ursachen, Risikofaktoren und Diagnostik bei einer Tendinopathie der Achillessehne. Darüber hinaus werden Strategien aufgezeigt, wie Therapie und Training bei Achillessehnenbeschwerden gestaltet und gesteuert werden können.


Methodik

Im Zeitraum von Oktober 2016 bis April 2017 wurden Läufer im Alter ab 18 Jahren angefragt, ob sie in der vorliegenden Studie teilnehmen möchten. Alle liefen in den Niederlanden bei einem von drei großen Läufen (5km - 42,4km). Ausgeschlossen wurden Läufer ohne Internetanschluss, niederländische Sprachkenntnisse und diejenigen, die sich erst zwei Monate vor dem Lauf registrierten.

Alle Läufer füllten je einen Fragebogen bei der Registrierung zum Lauf aus (mehr als 2 Monate vorher) und einen weiteren zwei Wochen vor dem Wettkampf. Am Tag nach der Laufveranstaltung sowie im Folgezeitraum (<2 Monate) erhielten sie Follow-Up-Fragebögen. Die Fragen basierten auf der bis dato existierenden Literatur. Des Weiteren wurden demographische Daten, Trainingscharakteristika, Lebensstil, Laufverletzungen aus den letzten 12 Monaten und aktuelle Symptome einer Laufverletzung abgefragt. Jeder Läufer erhielt die gleichen Fragebögen, lediglich die Follow-up-Fragebögen enthielten Fragen zum Status vorher gemeldeter, laufbedingter Verletzungen.

Ergebnisse

1929 Läufer füllten mindestens einen Follow-up-Fragebogen aus, die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit lag bei 20,5 Wochen. Von diesen berichteten 100 Läufer von einer Achillestendinopathie (5,2%). Die Inzidenz einer AT stieg mit zunehmender Distanz: Bei 10km stieg sie um 4,0%, bei der  Marathonstrecke um 7,4%. Folglich war die Inzidenz einer AT bei den Läufern, die sich zum Marathon anmeldeten, höher als bei anderen Strecken (p = 0,014).

Die Häufigkeit einer Tendinopathie der Achillessehne lag im Zeitraum von der Registrierung bis zu zwei Wochen vor dem Laufwettkampf bei 0,5 AT am Tag. Sie stieg im Zeitraum von zwei Wochen bis ein Tag vor dem Lauf auf 1,9 AT pro Tag an und sank im Anschluss an das Event im Zeitraum „ein Tag danach bis einen Monat danach“ auf 1,0 AT. Die meisten AT treten in den zwei Wochen vor und/oder am Tag nach dem Lauf auf.

Als Risikofaktoren für eine AT wurden eine AT in den vorherigen 12 Monaten, die Verwendung eines Trainingsplanes und das Tragen von Sport-Kompressionssocken ausgemacht.

Faktoren für Verletzungen, die eine Re- oder Folgeverletzung begünstigen, sind biomechanische Komponenten, unzureichende Erholung und/oder zu wenig Kraft der Plantarflexoren.

Zusammenfassung

Die hohe Zahl der AT-Inzidenz bei Marathonläufern stimmen trotz der Differenzen in Bezug auf Lauferfahrung und Distanz pro Woche mit vorangegangen Untersuchungen anderer Autoren überein. Allerdings konnte in der vorliegenden Studie keine Korrelation zwischen dem Lebensalter des Läufers oder der Laufstrecke pro Woche und einer AT-Inzidenz gefunden werden.

Mit Blick auf die Ergebnisse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Marathonläufer die Hauptzielgruppe für Präventionsstrategien zur Vermeidung einer AT darstellen. 

Bei den Risikofaktoren traten die Verwendung eines Trainingsplanes und Sportkompressionsstrümpfe zum ersten Mal auf, sodass der genaue Zusammenhang beider Faktoren zu der Entstehung einer AT nicht genau bekannt ist und weiter untersucht werden muss.

Kommentar 

Mit steigendem Laufpensum steigt das Risiko einer AT. Eine Präventionstrategie ist notwendig, um Tendinopathien der Achillessehne zu vermeiden beziehungsweise deren Häufigkeit zu verringern.  Obwohl in der vorliegenden Studie kein Zusammenhang zwischen einer AT und dem Lebensalter festgestellt wurde, ist festzuhalten, dass das Durchschnittsalter der Betroffenen von 41,9 (SD 12.1) hier sehr hoch ist. 

Trotz der Limitationen der Untersuchung waren die Ergebnisse ähnlich zu vorangegangen Studien. Dennoch sollte zukünftig die untersuchte Läuferpopulation sowohl nach Laufpensum pro Woche als auch nach Lauferfahrung getrennt werden. Alter, Pensum und Erfahrung haben schließlich einen großen Einfluss auf die Ergebnisse; dies merkten auch die Autoren selbst bereits an. 

Zudem überrascht, dass die Autoren die Verwendung eines Trainingsplanes und Kompressionssocken als Risikofaktoren für eine AT nennen. Der tatsächliche Zusammenhang konnte aber nicht gefunden werden. Dieser wäre jedoch relevant, da praktisch jeder ambitionierte Läufer nach Plan trainiert und sich Kompressionssocken auch in der breiten Bevölkerung immer größerer Beliebtheit erfreuen.

Hier sind dringend weitere Untersuchungen nötig. Ein falsch negativer Zusammenhang sollte vermieden werden. Zum einen könnte ein solcher andere Verletzungsbilder begünstigen oder bereits untersuchte Vorteile fälschlicherweise zunichte machen – wie etwa die Wirkung von Kompression auf Muskelkater in Form von Kompressions-Leggings.

Die Läufer sollten auch hinsichtlich ihrer Einhaltung des Trainingsplanes und der Verwendung von Kompressionssocken befragt werden. Bei der Verwendung des Trainingsplans resümieren die Autoren, dass die strikte Durchführung des vorgegebenen Planes dazu führt, dass Ermüdung oder Schmerzen in den Hintergrund rücken. Die Möglichkeit, dass die Läufer Trainingspläne verwenden, weil sie eine Verletzung hatten, wurde nicht abgefragt. Die Differenzierung wäre hier jedoch interessant und notwendig zur Erstellung von Präventionsmaßnahmen.

Ein weiterer Risikofaktor ist den Autoren zufolge die Verwendung eines Sport-Kompressionsstrumpfes. Der Zusammenhang zwischen Kompressionssocke und einer Achillestendinopathie ist aber ebenfalls nicht ganz klar. Vorangegangene Studien haben gezeigt, dass je nach Höhe des Strumpfes unterschiedlicher Druck auf die Achillessehne ausgeübt wird, der eine Verletzung begünstigen kann. Die Autoren erfassten die Höhe der Strümpfe jedoch nicht. Außerdem gibt es Hinweise, dass eine verringerte Sauerstoffaufnahme durch die Kompression zu einer AT führt. Die  Autoren legten die Annahme zugrunde, dass die Läufer die Strümpfe aufgrund einer vorherigen Verletzung oder einer allgemein erhöhten Verletzungsanfälligkeit verwenden.

Primärliteratur

Lagas IF, Fokkema T, Verhaar JAN, Bierma-Zeinstra SMA, van Middelkoop M, de Vos RJ. Incidence of Achilles tendinopathy and associated risk factors in recreational runners: A large prospective cohort study. J Sci Med Sport. 2020;23(5):448‐452. doi:10.1016/j.jsams.2019.12.013

Weiterführende Literatur

  • van der Vlist AC, Breda SJ, Oei EHG, Verhaar JAN, de Vos RJ. Clinical risk factors for Achilles tendinopathy: a systematic review. Br J Sports Med. 2019. 
  • Maffulli N, Reaper J, Ewen SW, Waterston SW, Barrass V. Chondral metaplasia in calcific insertional tendinopathy of the Achilles tendon. Clin J Sport Med. 2006;16(4):329-334. 
  • Book J, Prince CN, Villar R, Hughson RL, Peterson SD. Investigating the impact of passive external lower limb compression on central and peripheral hemodynamics during exercise. Eur J Appl Physiol. 2016;116(4):717-727. 
  • Varela-Sanz A, Espana J, Carr N, Boullosa DA, Esteve-Lanao J. Effects of gradual-elastic compression stockings on running economy, kinematics, and performance in runners. J Strength Cond Res. 2011;25(10):2902-2910. 
  • Knobloch K. The role of tendon microcirculation in Achilles and patellar tendinopathy. J Orthop Surg Res. 2008;3:18.

Text: Siri Goldschmidt / Wolfgang Schoch

Bild: Screenshot JAMAS (https://www.jsams.org/article/...); Collage: OSINSTITUT